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Kölner Stadtanzeiger - 18./19. August 2001 - Beilage “Moderne Zeiten”
Romantik mit Jägermeister

Morbid, aber nicht lebensmüde.
Eine Begegnung mit Ville Valo, dem Sänger der finnischen Band HIM

Von Thorsten Keller


Der Kölner Dom zählt zu den spektakulärsten Bauwerken der Spätgotik, und seine 157 Meter hohen Doppeltürme stellen für Hobbyknipser aus Japan ("Wie kriege ich das Teil nur komplett aufs Foto?") und kurzatmige Amerikaner ("Where is the fucking elevator?") eine echte Herausforderung dar. Rings um die Kathedrale bieten sich dem Freund religiöser Devotionalien tolle Einkaufsmöglichkeiten.

HIM Auch Ville Hermanni Valo wurde hier von einem kleinen Kaufrausch geschüttelt, und so baumelt nun eine stattliche Holzperlenkette. mit silbernem Kruzifix um seinen Hals, ein zweiter Rosenkranz hängt am Hosenbund. Das passt insofern ganz gut, weil der charismatische Frontmann der Gruppe HIM auf der offiziellen englischen Homepage der Band seine liebsten Speisen und Getränke wie folgt benannt hat: Der Leib Christi. Das Blut Christi.

Nach dem Auftritt der Gruppe bei "Rock am Ring" kommt diese Vorliebe für Hostien und minderprozentigen Messwein allerdings etwas überraschend. Zu seinem Festivalauftritt hatte der 24-jährige nämlich stärkeren Tobak mitgebracht: Jägermeister, den berühmten Magenbitter aus Braunschweig. Kann das denn sein? Ville versucht es erst mit einerErinnerungslücke ("Bin ich wirklich mit einer Flasche auf die Bühne gekommen? Mein Gott, das ist ja verrückt!"), dann setzt er zu einer kleinen Produktwerbung an: "It's a well known international superdrink. Vor allem zum Aufwärmen. Es war ja wirklich sehr kalt am Nürburgring."

An der Bar im Kölner Crowne Plaza Hotel ist es nicht ganz so kalt, und so begnügen sich Ville Valo und Bassist Mige während des Interviews mit schwarzem Tee und Cola. "Nur für den Notfall" hat der Sänger drei Packungen Marlboro Light auf dem Tisch aufgeschichtet, wenig später wird er einen Vortrag über seine lebenswichtige Asthmapumpe halten.

Mann, ist der dürr und blass! Das ist mein erster Gedanke, als Ville Valo durch die Hotel-Lobby schlendert. Sein Händedruck ist allerdings überhaupt nicht läppisch oder kraftlos, sondern kernig. Mag Ville auf der Bühne auch grimmig und verschlossen wirken, im Gespräch ist er freundlich und schlagfertig. Was ist dran an dem Vorurteil, dass finnische Rockbands gleichbedeutend sind mit extravagantem Styling (siehe Leningrad Cowboys) und abgefahrener Musik (siehe Larry and the Lefthanded)? "Ist es nicht seltsam, diese Frage zu stellen in einem Land, aus dem Rammstein und In Extremo kommen? There's plenty of weird stuff coming from everywhere. Und was die Vorurteile betrifft: Leute versuchen gerne, eine ganze Nation zu beschreiben mit Hilfe von ein paar Schlagworten, und das ist einigermaßen unmöglich."

Vor allem der Regisseur Aki Kaurismäki hat in seinen wortkargen, bezaubernden Filmen den exzessiven Suff und die eigenwillige Melancholie seiner Landsleute herausgestellt. Ist das der finnische Nationalcharakter? Ville wehrt ab: "Nein, das ist nur die Arbeit eines Einzelnen, keine repräsentative Darstellung. Du würdest ja auch nicht behaupten, dass alle Amerikaner so sind die wie die Leute in David Lynchs "Twin Peaks" (Kunstpause) - obwohl es wahrscheinlich sogar stimmt."

Lynch hat mit der Karriere von HIM insofern zu tun, als die Band mit ihrer metallisch gehärteten Coverversion von "Wicked Garne" 1998 ihren ersten Hit landete. Die Cover-Versionen im Frühstadium der Karriere erklärt Ville pragmatisch: "Wir brauchten einfach Material für unsere Konzerte, weil wir nicht genug eigene Songs hatten." Die halbwegs ironische Eigenbeschreibung der Band lautete in diesen Tagen: "Die dunkle, skandinavische Version einer Boygroup. Abgesehen davon, dass wir unsere eigenen Songs schreiben, schlechter tanzen und nicht so gut aussehen wie die Backstreet Boys."

Die keimfreien Backstreet Boys würden wahrscheinlich auch nicht derart mit dem Sensenmann kokettieren wie HIM. Die morbide Romantik in Villes Songtexten gipfelt in Titel wie "When Love and Death embrace" und erinnert uns mit der Hitsingle "Join Me" daran, dass es auch in jungen Jahren schon so etwas wie Lebensmüdigkeit geben kann: "We are so young/ our lives have just begun/ but alreaday we are considering/ escape from this world", heißt es in der ersten Strophe. Da stellt sich natürlich die Frage, ob sich verwirrte Teenager womöglich spontan um die Ecke bringen, nachdem sie das Stück gehört haben. "Es geht nicht explizit um Selbstmord", glaubt Ville, "mehr um Verzweiflung im allgemeinen, um Situationen, in denen dich dein Leben nur noch anödet. Und es geht um Freundschaft, dass es jemandem gibt, der dir in so einer Situation zur Seite steht." Außerdem: "Es ist eine Frage, niemand stirbt in diesem Song!" Wer sich trotzdem vor die Straßenbahn schmeißen möchte, bitte sehr: "Die Leute können das interpretieren, wie sie wollen. Musik ist subjektiv. Keine Interpretation ist falsch oder richtig."

Wenn das so ist: Ville und Bassist Mige werden mit Ohrstöpseln versorgt, ein Discman eingeschaltet. Im CD-Player liegt "Back in Beige", der aktuelle Tonträger von Mambo Kurt. Der Heimorgel-Spaßmacher aus dem Münsterland hat darauf unter anderem "Join Me" gecovert, als launige Polka. Nach einer Minute breites Grinsen und Komplimente: "that sounds pretty German", "sehr unterhaltsam". Soll noch jemand sagen, HIM wären humorlos. Darauf könnte man allerdings kommen, wenn man Ville Vallos Bühnengarderobe betrachtet, einen schwarzen Mantel, auf dessen Rückseite der Slogan "Your Pretty Face is Going To Hell" geschrieben steht. Nein, das hat keine tiefere Bedeutung, beteuert der Sänger. "Das ist meine Verbeugung vor Iggy Pop, der Name eines alten Stooges-Songs."
HIM     HIM
Gone with the Sin
Auch den Videoclip, der auf dem Friedhof spielt ("Gone with the Sin")wollen sie so verstanden wissen; nicht als inhaltliches Statement, sondern als "unsere Verbeugung vor Black Sabbath". Auch wenn die Musik von HIM auf dem kommenden Album "Deep Shadows and Brilliant Highlights" weicher, melodischer und keyboard-lastiger ausgefallen ist, stehen Black Sabbath für Ville ganz oben auf der Liste der musikalischen Vorbilder. "Razorblade Romance", ihr zweites Album, nahmen HIM dann auch in jenem Londoner Studio auf, in dem Ozzy&Co 1969 ihr Debütalbum eingespielt hatten. Darauf sind sie mindestens so stolz wie auf den kommerziellen Erfolg der Platte.

Allerdings nur in Europa: Die USA waren für HIM bislang ein weißer Fleck auf der Landkarte, "Razorblade Romance" ist dort nur als Import in den Virgin-Megastores zu haben. Gitarrist Linde ist überzeugt, dass amerikanischen Labels kalte Füße bekamen, weil ihnen der Text von "Join Me" für den amerikanischen Markt zu heikel erschien - eine Einschätzung, für die man nicht viel Fantasie braucht. Schließlich sind, so glauben in den USA viele so genannte besorgte Eltern, immer die Gothic- und Metal-Bands (oder neuerdings Eminem) schuld, wenn die Erziehung versagt hat und ein Halbwüchsiger sich selbst, seinen Englischlehrer oder seine halbe Highschool-Klasse in die Luft jagt. Ville Valo wiegelt ab: "Das ist nur eine Theorie. So eindeutig hat uns das niemand gesagt. Mir ist es eher so vorgekommen, dass die amerikanische Abteilung unserer Plattenfirma generell kein Interesse an unserer Musik hat."

"Deep Shadows and Brilliant Highlights"
erscheint am 27. August (Gun Records/BMG)
Konzert in Köln: Palladium, 24. September 2001
www.heartagram.com
www.him-music.de


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